Offener Brief an den Bundesvorstand der Freien Demokratischen Partei

Sehr geehrter Bundesvorstand der Freien Demokratischen Partei,

sehr geehrte Frau Fuchs,

seit dem 22. September ist die FDP erstmals seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland nicht im Deutschland Bundestag vertreten. Über die Ursachen ist seitdem viel gesprochen worden. Die Verantwortung für das Wahldebakel wurde dem Bundesvorsitzenden und dem Spitzenkandidaten und damit den Gesichtern im Wahlkampf zugeschrieben. Die Rücktritte waren die folgerichtige Konsequenz aus dem Niedergang des parlamentarischen Liberalismus in Deutschland, wenngleich festzustellen ist, dass die Wahlkampftaktik auch von der Mehrheit des Bundesvorstandes mitgetragen worden ist.

Die Wahl, dies spiegeln die Wahlergebnisse wieder, ist maßgeblich in den ostdeutschen Bundesländern verloren worden. Dass die FDP zwischen Ostsee und Erzgebirge seit der deutschen Wiedervereinigung einen schweren Stand hat, ist keine neue Erkenntnis. Dass es aber in keinem der Bundesländer gelungen ist, auch nur annähernd in die Nähe der 5%-Hürde zu kommen, verdeutlicht, dass die Liberalen nicht in erster Linie auf das falsche Personal gesetzt, sondern vielmehr die falschen Themen bedient haben.

Wieder einmal hat die FDP versucht, mit den Themen Wirtschaft und Finanzen ihre Kernklientel zur Wahl zu animieren. Daneben hat sie, zumindest kam dies bei uns Wahlkämpfern so an, weitere wichtige Themen, die die Menschen in den neuen Ländern bewegen (Entwicklung der Löhne, Fachkräftemangel), nicht angesprochen, mit den falschen Konzepten beworben oder nicht ausreichend kommuniziert.

Hier einige Beispiele:

Der Beitrag der gesetzlichen Krankenversicherung wurde von 14,9% auf 15,5% erhöht (zugegeben, eingerührt von der Vorgängerin Ula Schmidt, aber die gesetzesändernde Mehrheit, um diesen Unsinn zu revidieren, hätten CDU/CSU und FDP gehabt) und damit die Beitragszahler, insbesondere kleine und mittlere Einkommen massiv belastet. Immerhin wurden die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sowie zur Rentenversicherung gesenkt.

Wie lange Letzteres aufgrund der demographischen Entwicklung vorhalten wird, ist hingegen unklar. Sinnvoller wäre es gewesen, auf eine Senkung der Krankenkassenbeiträge durch die Wiederherstellung der Beitragsautonomie für die Kassen zu drängen.

Es wurden eine Reihe von Tariflöhnen für allgemeinverbindlich erklärt. Gleichzeitig sind keinerlei Maßnahmen unternommen worden, gegen die weißen Flecken in der Tariflandschaft, die insbesondere die ostdeutschen Bundesländer massiv befallen, vorzugehen. Ein Gesetz zur Tarifvertragspflicht bzw. das Verbot für Arbeitgeber, ohne triftigen Grund aus der Tarifbindung auszusteigen oder eine Pflicht für die Tarifparteien, sich flächendeckend auf Tarifverträge zu einigen, wären solche Möglichkeiten gewesen.

Die Anpassung der Rentensysteme Ost-West ist nicht wie versprochen realisiert worden. Zwar hat die CDU blockiert, die FDP hat sich aber keines Druckmittels bedient, das Ganze doch noch durchzusetzen. Die Flexibilisierung der Zuverdienstmöglichkeiten für Rentner ist lediglich eine kleine Verbesserung, die das strukturelle Defizit jedoch in keiner Weise behebt.

Die Einführung des Liberalen Bürgergeldes ist in den Tiefen des Bundessozialministeriums verschwunden. Wiederauftauchen unwahrscheinlich… Gerade dieses Konzept wäre eine Steilvorlage gewesen, um gegen die im Kern richtige, aber in der praktischen Ausgestaltung miserable Hartz-Gesetzgebung vorzugehen, die die Steuerzahler jedes Jahr im hohen zweistelligen Milliardenbereich belastet.

Statt die Ausweitung der Mini- und Midi-Jobs kritisch zu hinterfragen, sind die Verdienstgrenzen sogar ausgeweitet worden (450 bzw. 850 Euro). In Gesprächen unter anderem mit Herrn Dr. Kolb haben wir immer wieder zu hören bekommen, wie sinnvoll diese Neuregelung doch sei. Mit der Realität etwa der Mitarbeiter im Einzelhandel, die statt Teil- gerne Vollzeit arbeiten würden, während Vollzeitstellen in Teilzeitstellen gesplittet werden, hat dies jedoch oftmals nichts zu tun. Ein typisches Beispiel für eine Politik aus dem Elfenbeinturm. Einer Politik, die mit der Wahrnehmung von Bürgerinteressen wenig zu tun hat.

Aber auch in der parteiinternen Kommunikation sind eine Reihe von Fehlern gemacht worden. Statt mit dem abgehaltenen Referendum zur Euro-Politik ein Signal nach außen und innen zu setzen, hat es die Parteiführung nicht verstanden, die deutlich sichtbaren Strömungen innerhalb der Partei zu verbinden. Immerhin war es keine kleine Minderheit, die gegen den Euro-Rettungskurs der Koalition gestimmt hat. Mit seiner vorzeitigen Äußerung, das Referendum sei gescheitert hat der Bundesvorsitzende nicht nur rund 40% der Mitglieder vor den Kopf gestoßen, die sich für einen klar marktwirtschaftlichen Kurs ausgesprochen haben. Im Nachgang zur Abstimmung wurde kein wirklich sichtbarer Versuch unternommen,
die Euro-Kritiker in den weiteren Diskurs einzubinden. Das Ergebnis ist die Abkehr einer
Vielzahl von Mitgliedern und – viel schlimmer noch – das Herausbilden und Erstarken der Alternative für Deutschland, welche bei der Bundestagswahl fast so viele Stimmen geholt hat wie die FDP und damit maßgeblich zu unserem Scheitern beigetragen hat. Dass auch nach der Bundestagswahl keine ernsthafte Aufarbeitung eingeleitet wurde, ist das Gegenteil der Ansprüche, die wir Liberale zu Recht an uns und Andere stellen.

Wir Liberale Arbeitnehmer haben in den vergangenen vier Jahren regelmäßig für diese Ziele gekämpft und uns insbesondere mit unserem Einsatz für branchen- und regionalspezifische Lohnuntergrenzen innerhalb der liberalen Familie nicht immer Freunde gemacht. Gleichzeitig ist uns von Bürgern, Gewerkschaften und Sozialverbänden signalisiert worden, dass die FDP durchaus ein ernst zu nehmender Gesprächspartner sein könnte, wenn sie endlich ihre Blockadehaltung gegen jegliche Form von Lohnuntergrenzen aufgeben würde. Leider hat die FDP in Regierungsverantwortung ebendiese Gesprächsbereitschaft und die Fähigkeit, auch außerhalb des eigenen Dunstkreises zuzuhören, zu oft vermissen lassen.

Auch wir als LAN haben uns von Seiten der Bundespartei nicht in dem gewünschten Maße eingebunden gefühlt. So waren wir im September 2012 in der Bundesgeschäftsstelle, wo uns versichert wurde, dass die Vorfeldorganisationen künftig stärker einbezogen würden.

Insbesondere im Zuge der Erarbeitung des Bundestagswahlprogramms sollte es regelmäßige Konsultationen mit den einzelnen Organisationen geben. Trotz mehrmaliger Nachfragen bei der zuständigen Mitarbeiterin im Dehler-Haus ist eine beständige Kommunikation nicht zustande gekommen, was bei unseren Landesverbänden und deren Mitgliedern den Eindruck verstärkt hat, nicht ernst genommen zu werden.

Da viele unserer Mitglieder gleichzeitig auch Mitglieder der FDP sind, treibt uns natürlich auch die Frage um, welche Rolle unsere Organisation in der „neuen“ FDP einnehmen soll und kann. Wir erneuern an dieser Stelle gerne unser bereits in den vergangenen Jahren unterbreitetes Angebot, in fachlichen Fragen rund um die Themen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der FDP beratend zur Seite zu stehen. Im Gegenzug erwarten wir jedoch endlich einen ernstgemeinten Umgang mit uns, statt uns mit Absichtsbekundungen hinzuhalten. Da wir auch mit Arbeitnehmerorganisationen anderer Parteien in Verbindung stehen, sind wir nicht auf das Wohlwollen der FDP angewiesen.

Da wir uns der liberalen Idee verpflichtet fühlen, war und ist die FDP die erste Ansprechpartnerin für uns, immer vorausgesetzt, wir empfangen entsprechende Signale aus der Partei.

Ein Weiter-So in der thematischen Ausrichtung genauso wie im Umgang mit den einzelnen Mitgliedern der liberalen Familie darf es nicht geben. Insofern hoffen wir darauf, dass der neue Bundesvorsitzende (wie immer er heißen mag) sowie die Bundesgeschäftsführung die Weichen auf Erneuerung und Beteiligung stellt, damit der Liberalismus in Deutschland in all seinen Facetten sichtbar wird.

Gerne würden wir unsere Vorstellungen liberaler Konzepte in der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik sowie für eine bessere Zusammenarbeit von Vorfeldorganisationen, Bundesfachausschüssen und Bundesgeschäftsstelle bei einem persönlichen Treffen mit Ihnen besprechen. Wir freuen uns daher über einen Terminvorschlag mit Ihnen und stehen für

Rückfragen gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Lebrenz
LAN Berlin/Brandenburg
Wolfgang Lesch
LAN – Sachsen
Raphael Rupp
LAN Baden Württemberg

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