Brief an Dr. Heinrich Kolb: Lohnpolitische Leitlinien liberaler Politik

Sehr geehrter Herr Dr. Kolb,

Die Liberalen Arbeitnehmer haben auf Ihrer Jahresklausur Anfang Juni lohnpolitische Leitlinien für liberale Politik erarbeitet, welche wir Ihnen im Folgenden gerne vorstellen möchten.

Unsere Landesverbände sprechen sich deutlich gegen die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen aus. Die Lohnfindung war, ist und bleibt in Deutschland Sache der Tarifpartner in den Betrieben. Unser Land hat in den vergangenen 50 Jahren sehr gute Erfahrungen mit der Tarifautonomie gemacht. Letztere hat maßgeblich zum weltweiten Erfolg des Modells Deutschland beigetragen und tut dies auch heute noch! Umso verwunderter sind wir, dass gerade die Gewerkschaften nach dem Staat rufen, wenn es um Tarifverhandlungen geht. Wenn sich der Staat nun auch noch der Tarifpolitik bemächtigt, wird damit nicht nur die Glaubwürdigkeit des Standortes Detuschland in Frage gestellt. Auch die Gewerkschaften gäben eines ihrer zentralen Arbeitsinstrumente, die Mitbestimmung in den Unternehmen, aus der Hand.
Dies kann niemand wollen, schon gar nicbt wir als Liberale, die sich seit Jahrzehnten für die Mitbestimmung und Eigenverantwortung des Einzelnen und damit auch der Tarifpartner einsetzen.

Das Problem, mit denen besonders die Betriebe in den neuen Ländern knfrontiert sehen, ist die fehlende Tarifbindung der Unternehmen. Dies erschwert ein Agieren auf Augenhöhe und in vielen Fällen die Aushandlung von Löhnen, mit denen jeder Einzelne Mitarbeiter seinen Lebensunterhalt ohne ergänzende Mittel des Staates bestreiten kann. Niedrige Löhne gefährden nicht nur die Zukunft der deutche Sozualsysteme, die auf Wachstum und ein angemessenes Verhältnis von Leistungserbringern und –beziehern basiert. Dies ist bei heute weniger als 28 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nicht mehr der Fall. Wir unterstützen daher alle Maßnahmen, die zum Aufbau sv-pflichtiger Beschäftigung beitragen. Anders als die Gewerkschaften sagen wir aber, dass die Lohnfindung in den Betrieben verbleiben muss. Die Tatsache, dass in vielen Unternehmen Niedriglöhne gezahlt werden, ist in erster Linie die Folge des niedrigen Organisationsgrades der Beschäftigten in den Unternehmen. Besonders deutlich wird dies in einigen Dienstleistungsbranchen, in denen zum Teil nur 20-30% der Mitarbeiter gewerkschaftlich organisiert sind. Hier gilt es den Hebel anzusetzen, damit die Tarifpartner auf Augenhöhe verhandeln können.

Die Gewerkschaften stehen in der Pflicht, ihre Mitgliederpolitik zu überdenken. Sie müssen sich für neue Mitglieder öffnen und attraktive Angebote unterbreiten, um die Beschäftiten in den Unternehmen und die des öffentlichen Dienstes zu überzeugen und an sich zu binden. Dass den Gewerkschaften hierfür immer weniger Zeit bleibt, zeigt die Einigung des vierten und zehnten Senats des Bundearbeitgerichtes vom 23. Juni, welches die Tariffreiheit und somit auch die Tarifvielfalt in den Unternehmen deutlich gestärkt hat.

Anders als SPD und CDU/CSU befürchten die Liberalen Arbeitnehmer keinen tarifpolitischen Flickenteppich. Wer wie wir über jahrelange Erfahrung in der betrieblichen Mitbestimmung hat, der weiß, dass das Tarifrecht in Deutschland Hürden auflegt, bevor es zu den von vielen bereits heraufbeschworenen Arbeitskämpfen und Streiks kommen kann. Zum Einen haben die Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren wiederholt bewiesen, dass die Mehrheit von ihnen die Beschäftigungssicherung deutlichen Vorrang vor der Erhöhung der Löhne stellt. So wird es bei einem konstruktiven Miteinander in den Unternehmen auch künftig sein. Zum Anderen benötigen Beschäftigte zur Organisation eines Streiks eine Streikkasse. Ebenjene lässt sich nicht von einem Tag auf den Anderen so ausstatten, dass ein Streik durchgeführt werden kann. An dieser Stelle findet innerhalb der Parteien von SPD, CDU und CSU derzeit eine Gespensterdebatte statt, der sich die FDP nicht anschließen sollte. Gesetzliche Regelungen zur Tarifeinheit sind derzeit nicht nötig. Es sind die Gewerkschaften des DGB, die ihre Struktur und tarifpolitischen Grundsätze modifizieren müssen.

Das zweite Ergebnis unserer Jahresklausur spiegelt sich in der Forderung nach gleichen Löhnen in neuen und alten Ländern wieder. Auch zwanzig Jahre nach der deutschen Einheit verdienen ostdeutsche Arbeitnehmer signifikant weniger als ihre Kollegen, weil sie einen deutlich geringere Stundentariflohn erhalten als ihre Kolleginnen und Kollegen im Westen.
Wir freuen uns, dass sie dieses Problem erkannt haben und in einem Beschluss zur Rentenpolitik aus dem Jahr 2007 teilweise aufgenommen haben. Ihre Begründung, dass die Lebenshaltungskosten nicht nur zwischen Ost- und Westdeutschland, sondern auch zwischen Süd- und Norddeutschland variieren, trifft den Kern des Problems. Wenn es zwischen Ost und West verschiedene Rentenniveaus gibt, muss es diese auch zwischen Nord und Süd, zwischen dem Saarland und Hamburg geben. Richtigerweise haben Sie die Schlussfolgerung gezogen, dass dies nicht das Ziel sein kann, da andernfalls ein Flickenteppich entstünde, der den Standort Deutschland massiv schwächen würde.

Genau dieser Ansatz sollte sich nun auch in der Lohnpolitik wiederfinden. Noch immer wird von verschiedenen Seiten zwei Argumente für die unterschiedlichen Löhne in Ost und West ins Feld geführt: Erstens die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten und zweitens die Unterschiede im Produktionsvolumen. Letzteres sei im Westen noch immer deutlich höher als im Osten. Für einige Branchen mag dies noch zutreffen. Gleichzeitig gibtr es, beispielsweise im Energiesektor und in der Automobilwirtschaft auch ostdeutsche Unternehmen, die eine höhere Produktion aufweisen als die Werke in West-, Süd- oder Norddeutschland. Es ist nicht nachvollziehbar, wenn der Facharbeiter im BMW-Werk in Leipzig bei gleicher Produktion weniger verdient als sein Kollege in einem westdeutschen Werk. Besonders deutlich wird diese Praxis in Berlin. Die Stadt ist auch im dritten Jahrzehnt nach dem Ende der DDR in Lohnfragen gespalten. Dies ist in keiner Weise nachvollziehbar und demotiviert die arbeitenden Menschen zwischen Ostsee und Erzgebirge.

Wir bitten Sie, sich dafür einzusetzen, dass diese Praxis unter Federführung der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände alsbald beendet wird.

Über eine Antwort von Ihnen würden wir uns freuen und verbleiben

mit freundlichen Grüßen

Martin Lebrenz Wolfgang Lesch
Vorsitzender LAN Berlin-Bbg. Vorsitzender LAN Sachsen

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